GdG St. Peter Mönchengladbach-West

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Eingang-Ausgang

Eingang - Ausgang
Datum:
Fr. 30. Juni 2023
Von:
Rüdiger Haagens

522.821

522.821

Diese Zahl wanderte am Mittwoch (28. Juni) durch die Newsportale der Republik. Sie gibt an, wie viele Menschen im Jahr 2022 aus der katholischen Kirche ausgetreten sind. So viele wie noch nie zuvor in einem Jahr. Wenn man diese Zahl noch mit den Sterbefällen, Eintritten und Umzügen verrechnet, ergibt sich ein Rückgang der katholischen Kirchenmitglieder um 708.285 Menschen. Auch in unserer GdG haben im letzten Jahr 293 Menschen ihren Kirchenaustritt erklärt (zum Vergleich: 2020: 111 2021: 178). Dass die evangelische Kirche „nur“ ca. 380.000 Austritte zu verzeichnen hatte, ist da wenig tröstlich – auch das ist eine Rekordzahl. Daran zeigt sich aber, dass es bei der Abwendung von den christlichen Kirchen nicht nur um die klassischen katholischen Themen geht (Frauen, Zölibat, Klerikalismus als strukturelle Voraussetzung für den Missbrauch…), sondern um die grundsätzliche Relevanz von Religion. Und „Religion“ meint dabei nicht nur ein privat-diffuses Gefühl, sondern die öffentlich wahrnehmbare Präsenz einer anderen Wirklichkeit. Religion sagt uns: „Da ist noch etwas“. Etwas, was tiefer reicht als das bloß Sichtbare, Begreifbare, Verfügbare.

Insofern betreffen Kirchenaustritte nicht nur die Kirche selbst. Die Religionssoziologie sagt uns, dass die meisten Menschen, die aus einer bestimmten Kirche austreten, nicht in eine andere Kirche oder Religionsgemeinschaft eintreten. Sondern, wenn überhaupt, ganz privat und eher sporadisch ihre Religion aktivieren. Dann verliert sie aber ihre prägende und heilende Kraft.

Wir sind schon jetzt ein Land, wo viele Menschen mit ihren seelischen Nöten nicht mehr klar kommen: „Im vergangenen Herbst veröffentlichte das Robert-Koch-Institut (RKI) eine Studie, der zufolge nur noch 40 Prozent der Deutschen ihre allgemeine psychische Gesundheit als „sehr gut“ oder „ausgezeichnet“ bezeichnen – Tendenz sinkend. Ein Land, das von einer miesen Bildungsstudie zur nächsten stolpert, das viele junge Familien bei der Suche nach einer verlässlichen Kinderbetreuung im Regen stehen lässt und das auf jeden Fall eher mehr starke Kita- und Schulträger gebrauchen kann statt weniger.“ (https://www.welt.de/debatte/kommentare/plus246108830/Kirchenaustritt-Rekord-bei-den-Katholiken-Das-wird-uns-noch-leidtun.html)

Und in einer Gesellschaft, in der die christliche Religion immer mehr schwindet, entsteht immer mehr Platz für Verschwörungstheorien, esoterische Praktiken, politische Radikalismen, religiöse Fundamentalismen.

Insofern sind die vielen Kirchenaustritte nicht nur eine schlechte Nachricht und ein erneuter Weckruf für die Kirche(n). Sie sollten auch allen zu denken geben, denen der Zusammenhalt und die Menschlichkeit unserer Gesellschaft am Herzen liegt,

meint

Pfr. Rüdiger Hagens